Vom operativen Zusammenhang im Umfeld der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle

 

Der Begriff der Subsidiarität wird in der Schweizer Armee im TF 95 im Teil 8 "Besondere Einsatzformen" im Bereich der erweiterten Aufgaben der Armee in Form von Beiträgen zur allgemeinen Existenzsicherung sowie in Form von Beiträgen zur Kriegsverhinderung und Stabilisierung abgehandelt. Dieser Artikel will aufzeigen, dass viele sich irren, wenn sie glauben, dass Entscheidungsfindungs- und Führungsabläufe im Umfeld von Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle - low intensity conflict (LIC) - anders als im Landesverteidigungsdienst auf strategischer, operativer resp. taktischer Ebene abzulaufen haben.

 

Voraussetzung für Einsicht in die Abhängigkeit zwischen strategischer, operativer und taktischer Ebene ist erstens ein gemeinsames Begriffsverständnis und zweitens die Erkenntnis, dass Ziele mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und anzuwendenden Vorgehensweisen, aber auch mit den Handlungsoptionen der Gegenseite, abgestimmt sein müssen. Erst dann können Politik und Strategie kohärent und damit erfolgversprechend formuliert werden.

Die strategische Ebene

Wird die strategische Ebene als derjenige Bereich verstanden, welcher Politik und Strategie umfasst, so obliegt es der Politik, Zielsetzung in einem Interessenkonflikt zu formulieren und eine Strategie für das grundsätzliche Vorgehen festzulegen, indem sie sich im Hinblick auf die Zielerreichung aller zur Verfügung stehenden Machtmittel wie Diplomatie, Wirtschaft, Kultur, Ideologie, Informationstechnologie, Informatik sowie Streitkräfte bedient. Dabei wird zwischen direkter und indirekter Strategie unterschieden. Direkte Strategie versucht der Gegenseite unter hauptsächlichem Einsatz resp. Androhung des Machtmittels "Streitkräfte" den eigenen Willen aufzuzwingen. Indirekte Strategie dagegen versucht unter hauptsächlichem Einsatz anderer Machtmittel als dasjenige der Streitkräfte seinen eigenen Willen durchzusetzen. Indirekte und direkte Strategie schliessen einander nicht aus, sondern harmonisieren im Zusammenspiel. Die Wahl der Machtmittel und der Vorgehensweisen - also die Gewichtung von indirekter und direkter Strategie - hängt sowohl von der Verwundbarkeit der Gegenseite, als auch von den eigenen Möglichkeiten, wie auch vom angestrebten Endzustand eines Interessenkonfliktes ab.

Die operative Ebene

Die operative Ebene ist derjenige Bereich, welcher sich mit der praktischen Umsetzung der Vorgaben der strategischen Ebene beschäftigt. Sie formuliert die Vorgaben der strategischen Ebene in einen handlungsorientierten Operationsplan um. Bei der Gestaltung des Operationplanes portioniert die operative Ebene die Aufgaben an die Teilstreitkräfte in taktisch lösbare Zwischenziele. Dabei stimmt die Armeespitze die Zwischenziele und Einsatzvorgehen auf die vorhandenen Mittel im Hinblick auf das Endziel ab. Dies erreicht die operative Ebene einerseits über das Formulieren von Rules of Engagement, andererseits indem sie die der taktischen Ebene zugewiesene Teilaufgaben der Teilstreitkräfte als ganzes kohärent aufeinander abstimmt, synchronisiert, indem sie die Überraschung bewahrt und indem sie die logistische und rechtliche Voraussetzung schafft, damit die eigene Mittelkonzentration auf den gegnerischen Schwachpunkt angesetzt werden kann. Die operative Ebene schafft so nicht nur die Voraussetzungen für die taktische Lösbarkeit der gestellten strategischen Aufträge, sondern bildet die notwendige Klammer, damit Aktionen nicht losgelöst durchgeführt werden - ohne dem Endziel näher zu kommen: die operative Ebene stellt mit seinem ausgearbeiteten Operationsplan den operativen Zusammenhang einzelner Aktionen sicher. Die operative Ebene übt somit eine Scharnierfunktion zwischen strategischer und taktischer Ebene aus.

Taktische Ebene

Die taktische Ebene setzt die im Operationsplan formulierte Aufträge mittels Aktionen um. Dabei setzt sie ihre Mittel im bestmöglichen Zusammenwirken im Einsatzumfeld ein. Aktionen fallen immer in den Bereich der Taktik. Die dabei jeweils resultierende Wirkung kann je nach Zielerreichung als taktisch, operativ oder strategisch interpretiert werden. So kann es durchaus zum paradoxen Phänomen kommen, dass ein taktischer Misserfolg einen positiven strategischen Effekt (und umgekehrt) erzielen kann. Von strategischen Waffen resp. Luftmacht zu sprechen ist somit ungenau, weil damit Einsatz mit Wirkung verwechselt wird.

Die Komplexität eines möglichen Einsatzumfeldes im In- oder Ausland in Kooperation mit ausländischen Streitkräften (CJTF) wächst unaufhörlich: Neben dem klassischen Verbund der Teilstreitkräfte Land, Luft, See, gilt es die Sphären Weltall und Elektron (Information Warfare) miteinander im Einsatz in Einklang zu bringen. Dazu kommen noch weitere Mittel wie Medien, NGOs, private und staatliche Hilfsorganisationen, internationale und zwischenstaatliche Organisationen, Polizei, Geheimdienste, Wehrdienste, transnational tätige Firmen, …die es im Einsatzumfeld im bestmöglichen Zusammenwirken für die Zielerreichung zu koordinieren gilt. Dies erfordert von allen Stufen - aber insbesondere von der untersten taktischen Stufe - operative Schulung, damit in jede Führungsausbildung, oben beschriebenes Verständnis durchleuchtet wird. Denn jedes Tun und Lassen erzielt eine bestimmte Wirkung. Diese Wirkung wird um ein Vielfaches verstärkt, wenn die Aktion resp. deren Resultat durch die Medien verbreitet wird.

Wem obliegt die Einsatzverantwortung?

Der weitverbreitete Irrglaube, nur in subsidiären Einsätzen läge die Einsatzverantwortung auf ziviler Seite, hinterlässt den fahlen Nachgeschmack, dass es demnach mögliche militärische Einsätze gäbe, die sich diesem Prinzip nicht unterwürfen. Dem ist nicht so. Nicht nur der Militäreinsatz im Landesverteidigungsdienst, sondern jeder Einsatz von irgendwelchen Mittel zum Zwecke der Interessenwahrung eines Staates (z.B. Bewahrung und Ausbau grösstmöglicher Freiheit staatlichen Handelns, Erreichen wirtschaftlichen Wachstums) ist ein Führungsakt der strategischen Ebene und Resultat deren Strategieformulierung. Das Primat der Politik ist allumfassend. Die Meinung, "nichtsubsidiäre" Einsätze folgten weniger diesem Prinzip, lassen befürchten, dass diese Einsätze einer eigenen Logik der taktischen Notwendigkeit gehorchten - also so etwas wie ein Primat der Taktik vorherrsche. Dieses Einsatzverständnis führt jedoch gezwungener Massen zu Aktionen, die zum Selbstzweck degenerieren, ohne ein politisches oder wirtschaftliches Ziel zu verfolgen.

Ohne operativen Zusammenhang ist das Scheitern vorprogrammiert

Im Lichte der für den Staat existentielle Bedrohung, die von Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle ausgeht, stellt sich die Frage, ob die Verantwortung der Einsätze zur allgemeinen Existenzsicherung in allen Fällen in die Hände der zuständigen zivilen, d.h. lokalen oder regionalen, Behörde gelegt werden kann resp. soll. Denn ihr fehlt zur Koordination und zur Zusammenfassung aller dem Staat zur Verfügung stehenden Machtmittel und zur Abstimmung der Vorgehensweisen mit den realisierbaren Zwischenzielen zwecks strategischer Zielerreichung die notwendige operative Schulung. Zudem ist gerade die zuständige zivile Behörde ab einer gewissen Eskalationsstufe der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle wegen gegnerischer Einschüchterung nicht mehr vertrauenswürdig resp. nicht mehr fähig, ihrer Verantwortung vollends nachzukommen. Soll sich also der Synergieeffekt einstellen, welcher einzig durch Gleichzeitigkeit, Kreativität, Einsatztiefe und Verbund aller Mittel, sowie durch einheitliches Zielbewusstsein über alle Ebenen der Konfliktaustragung hinweg erzielt werden kann, so darf ein Einsatz nicht einfach auf strategischer Ebene beschlossen werden und dann dessen Ausführung ohne operativen Zusammenhang auf die taktische Ebene delegiert werden.

 

Maj i Gst C.M.V. Abegglen, Juni 2001