Gründe, warum das Know-How der Schutzinfanterie auch in der Armee XXI bewahrt werden sollte

 

Die Arbeit im Haus der Armee XXI - ein eigentlicher Think Tank zur Konkretisierung der verschiedenen Konzepten, die bis anhin im Zusammenhang der bis 2003 zu realisierenden Armeereform erarbeitet wurden - ist unlängst aufgenommen. Das Referat von Div U. Siegenthaler, UCS Planung des Generalstabes, vom 27.9.99 zeigte deutlich auf, dass ein Meinungsstreit über Sinn und Unsinn der Territorialfüsilierausbildung nach A95 entflammt ist.

 

Dieser Artikel ist ein Plädoyer für die Beibehaltung, ja für eine breitere Abstützung, der Ausbildungsinhalte der Schutzinfanterie.

Der "Sicherheitspolitischen Bericht 2000" räumt ein, dass heute - im Gegensatz zum Kalten Krieg - bewaffnete Konflikte in Europa wieder ausgetragen würden, dass deren direkten Auswirkungen sich jedoch regional begrenzten. Zugleich hebt aber der SIPOL B 2000 deutlich die wachsenden, nicht konventionellen Risiken und Bedrohungen im Bereich der Gewalt unterhalb der Kriegsschwelle (LIC: low intensity conflict) hervor.

Mentale Vorbereitung als Kern

Die Ausbildung des Territorialfüsiliers (Ter Füs) ist bestrebt, jedem einzelnen Wehrmann die Bedeutung und Wirkung seines Handelns resp. Nichthandelns in unterschiedlichsten Situationen im Rahmen des gesetzten Auftrages vor Augen zu führen. Das Sichineinesituationhineindenken und das Vorausdenken der möglichen Eskalationsentwicklungsstufen des gegnerischen Widerstandes auf eine (Re)Aktion hin, soll den Schutzinfanterist dazu befähigen, verhältnismässig auf eine gegebene Situation zu handeln. So ist es nicht erstaunlich, dass in der Orientierung einer Befehlsausgabe mögliche Verhaltensmuster der Gegenseite an Bedeutung zunimmt.

Verhältnismässige Gegengewaltanwendung

Die Nahkampftechnik soll dem Ter Füs die notwendige Sicherheit vermitteln, dass Situationen je nach Verhaltensregeln erst im äussersten Fall mit dem Einsatz der Schusswaffe zu bereinigen sind. Bei jeder Schussabgabe wird hinterfragt, wieso geschossen wurde und ob Nichtbeteiligte dabei gefährdet worden seien. So soll verhindert werden, dass Unschuldige zu Schaden kommen und dadurch die Spirale der Gewalteskalation in Gang gesetzt wird. Die Verhältnismässigkeit in der Gegengewaltsanwedung wird über sogenannte "rules of engagement" (ROE) d.h. Weisungen für den Einsatz, Einsatzregeln wie z.B. Weisungen über den Schusswaffengebrauch sowie durch Verhaltensregeln einerseits, durch geschultes und situativ richtiges Verhalten eines jeden Wehrmannes andererseits erreicht. So ist es auch wichtig, jedem Soldaten den Sinn dieser Gewalteinschränkungsmechanismen verständlich zu machen.

Politische Tragbarkeit der Soldateneinsätze

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass eine Beschränkung von Gewaltanwendung wider der Natur des Soldaten ist. Zumal auf der einen Seite konventionell auf der anderen Seite dagegen verdeckt gekämpft wird- also eine Asymmetrie zwischen uns und der Gegenseiten im Vorgehen existiert.

Damit subsidiäre Sicherungseinsätze im Assistenzdienst oder aber auch bewaffnete Einsätze im Friedensförderungsdienst in Krisenregionen im Ausland vom Volk politisch getragen werden, bildet aber genau die Einhaltung der vorgeschriebenen Vorgehen zur Gewalteinschränkung im Lichte der gegnerischen Provokation sowie im Spiegel der gegnerischen perfid uneingeschränkt ausgeführten Gewalttaten die Grundlage. Denn Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit sind neue, zusätzliche Grundsätze in der Einsatzführung (Gefechtsführung), die zu respektieren sind, damit unsere Soldaten nie in die Abgründe der Barbarei absinken, sondern jederzeit Haager Recht und Genfer Konventionen vorleben. Eigene Gewalteinschränkung ist jedoch nur bei solchen Einheiten durchzusetzen, bei denen Disziplin eisern gelebt, gefordert und durchgesetzt wird.

Mehr, nicht weniger

Mentale Vorbereitung und das Prinzip der Verhältnismässigkeit müssen Rüstzeug eines jeden mitdenkenden, verantwortungsbewussten Milizsoldaten - Bürger in Uniform - und vorallem des Infanteristen sein. Einzig der Füsilier erlebt auch heute noch im modernen Gefecht, aber vorallem in friedenssichernden resp. -schaffenden Operationen den Einsatz im Nahbereich, Mensch gegen Mensch. Will die Armee XXI ein Machtmittel der Regierung als ausgreifendes Element der schweizerischen Sicherheitspolitik sein, so muss jeder Angehörige der Armee zusätzlich über das mentale Rüstzeug eines Ter Füs verfügen. Dagegen muss der Ter Füs heutiger Provenienz eindeutig mehr können, als dies bis anhin der Fall ist. Die Verbandsausbildung muss neben den schon eingeführten Standards auf solche Bereiche verlagert werden, die sonst der Kampfinfanterie vorbehalten sind:

Für den gefechtstechnisch erfolgreichen Einsatz der Schutzinfanterie müssen also auch

geschult werden.

Ausbildungsinhalte des Ter Füs haben sich mit denjenigen der kombattanten Füsiliere zu vereinen. Denn das eine schliesst das andere nicht aus, sie ergänzen sich vielmehr. Denn Dissuasion durch Präsenz alleine genügt nicht, ohne das Vermögen den dadurch nach Aussen manifestierten Willen zum Schutz der Bevölkerung mit erfolgreichen Aktionen Nachdruck und zugleich Glaubwürdigkeit zu verleihen, um in einem LIC die Initiative an sich zu reissen und erfolgreich zu beenden. Erst Soldaten, die auf das Feuer eines Heckenschützens zu reagieren wissen; eine Füsiliergruppe, die auf Patrouille in einem gegnerischen Feuerüberfall besteht; ein Zug, der ein gegnerisches Schutzhaus nehmen kann oder seinen eigenen Standort zu verteidigen vermag; sie alle können ihrer Hauptaufgabe, der Schutz der Bevölkerung, nachkommen und gewinnen damit erstens das Vertrauen und zweitens erzielen sie so dissuasive Wirkung gegenüber der Gegenseite.

Die Dienstleistungsmodelle "Langzeit-RS" sowie "Dienst am Stück" eröffnen hierzu neue Perspektiven.

Hptm C.M.V Abegglen, 1999